«Ich habe mit 45 das erreicht, wofür andere ein ganzes Leben arbeiten»

Der dreifache America’s-Cup-Gewinner Russell Coutts über seine Trennung von Alinghi, die Faszination Segeln und Schweinereien auf hoher See

vom 14. Januar 2007, SonntagsZeitung Seiten 24/25 / SonntagsZeitung pdficon

VON ESTHER GIRSBERGER, PETER HERZOG (TEXT) UND CHRISTOPHE CHAMMARTIN/REZO (FOTOS)

Screenshot SG CouttsHerr Coutts, im Juni verteidigt das Team Alinghi den America’s Cup in Valencia, bei dem Sie letztes Mal im Jahr 2003 als Skipper dabei waren. Werden Sie die Rennen verfolgen?
Mit Sicherheit. Aber wahrscheinlich eher am Fernsehen als vor Ort. Wenn Sie nicht selber auf dem Boot sind, können Sie die Details eh nicht beobachten.

Mussten Sie oder wollten Sie Alinghi verlassen?
Wissen Sie, darüber wurde viel geschrieben, sehr oft auch erfundene Dinge. Alinghi und ich haben eine Vereinbarung getroffen, dass wir nicht über die Gründe der Trennung sprechen. Es war eine grandiose Zeit, eine fantastische Erfahrung. Aber es ist vorbei.

Theoretisch könnten Sie wieder ins Team zurückkehren.
Theoretisch ja. Aber es bräuchte zwei Seiten dafür. Die Wahl läge nicht alleine bei mir.

Was, wenn Bertarelli Sie wieder holen würde?
Das erachte ich als unwahrscheinlich. Ich bin ja nicht der Einzige, der das Team verlassen hat, und es braucht ein gut funktionierendes, zusammenpassendes Team, das sich nicht von heute auf morgen finden lässt.

Sie sind nach wie vor sehr gut informiert über die Vorgänge auf der Alinghi.
Nein. Natürlich, ich kenne das Team, und mit meinem langjährigen Taktiker und Freund Brad Butterworth, der jetzt Vizepräsident von Alinghi ist, telefoniere ich oft. Aber wir unterhalten uns bei weitem nicht nur übers Segeln.

Brad Butterworth selbst sagte uns, Sie wüssten genau, was vorgeht.
Das stimmt nicht. Er nimmt es vielleicht an, aber es ist nicht so. Es gibt jetzt auch wichtigere Dinge im Leben als Alinghi.

Sie haben als Steuermann von 14 Läufen im America’s Cup keinen einzigen verloren, sind in Valencia aber der grosse Abwesende. Werden Sie beim übernächsten America’s Cup wieder dabei sein?
Auch hier gilt: Man findet nicht von heute auf morgen ein funktionierendes Team. Und das richtige Boot baut man auch nicht in ein paar Wochen. Ausschliessen würde ich eine erneute Teilnahme nicht, aber es hängt von so vielen Faktoren ab, dass ich mich sicher nicht in nächster Zeit entscheide.

Wird Alinghi in Valencia gewinnen?
Es wird interessant sein zu beobachten, was geschieht. Die drei grossen Favoriten unter den Herausforderern sind klar. BMW Oracle Racing (USA), Team New Zealand und Prada (Italien). Aber ich lasse mich in der Öffentlichkeit auf keine Prognosen mehr ein. Als ich in einem Interview Prada als ein gutes Team bezeichnete, das den Cup gewinnen könnte, schrieb die Zeitung «New Zealand Herald»: «Coutts schreibt das neuseeländische Team bereits ab.» Das ist natürlich Unsinn.

Mit dem Australier James Spithill haben die Italiener einen sehr talentierten Steuermann an Bord.
Ja, als ich noch bei Alinghi war, habe ich mit ihm verhandelt. Wir waren an ihm interessiert.

Er habe eine Klausel im Vertrag, dass er bei Prada als Steuermann gesetzt ist.
Das ist möglich. Bei Alinghi hätte er einen solchen Vertrag nicht unterschreiben können.

Ist eine Rückkehr des Skippers Coutts denkbar, wenn das Team Alinghi gewinnt?
Ich weiss ja nicht einmal, ob beim übernächsten Cup auf dem gleichen Bootstyp gesegelt wird.

Sollte weiter auf der jetzigen AC-Version gesegelt werden, ist eine Rückkehr denkbar?
Wie gesagt, ich schliesse nichts aus. Aber ich werde auf jeden Fall erst vertieft über irgendetwas im Zusammenhang mit dem America’s Cup entscheiden, wenn Valencia vorbei ist.

Sie sind heute nicht mehr angestellt, sondern Ihr eigener Herr und Meister. Passt Ihnen das?
Ja. Das ist ein Zustand, für den andere Leute ein ganzes Leben lang arbeiten, ich habe ihn schon mit 45 Jahren erreicht. Es ist ein Glück, dass ich machen kann, was mir gefällt. Wenn mir das eine nicht passt, wechsle ich.

Aber segeln passt Ihnen nach wie vor. Wie lange noch?
Es gibt keine Alterslimite. Aber neben der körperlichen Fitness ist die Reaktionsfähigkeit eine wesentliche Voraussetzung für gutes Segeln. Die nimmt mit dem Alter ab. Obwohl mir die Erfahrung vielleicht hilft, eine abnehmende Reaktionsfähigkeit etwas zu überbrücken.

Was fasziniert am Segeln besonders?
Dass man alle Sinne braucht.

Heisst das, dass Sie ein sensibler Mensch sind?
Das müssen Sie nicht mich fragen.

Sie werden sich doch gut genug kennen, um diese Frage beantworten zu können?
Sagen wir mal, ich bin es nicht immer.

Wann nicht?
Ich versuche, vor allem im Umgang mit den Kollegen, sensibel zu sein.

Gelang Ihnen das im Umgang mit Ernesto Bertarelli?
Das ist eine zu persönliche Frage.

Haben Sie noch Kontakt zu ihm?
Nur flüchtig.

Waren die Jahre mit Alinghi Ihr beruflicher Höhepunkt?
Ja. Ich habe zuvor schon viel gemacht. Aber als Skipper auf der Alinghi zu sein, war schon was ganz Besonderes. Auch wenn es drei sehr harte Jahre waren.

Warum leben Sie noch in der Schweiz, obwohl Sie nicht mehr bei Alinghi sind?
Weil es meiner Familie und mir hier gut gefällt. Wir sind seit Mitte 2000 hier, die Kinder sind alle hier geboren. Die Schweiz ist ein zentraler Ort in Europa. Viele meiner Aktivitäten und solche, die ich noch machen will, sind in Europa angesiedelt.

Aber die Schweiz ist nicht das Zentrum für Segler.
Das stimmt nicht unbedingt. Richtig ist, dass ich sehr selten auf den hiesigen Seen segle. Aber wir fühlen uns hier sehr wohl. Zuvor lebten
wir in San Francisco. Dort war viel los, und wir hatten auch viel Spass. Demgegenüber ist die Schweiz ein sicherer, aber kontrollierter Ort. Nun schätzen wir die Ruhe.

Die Schweiz ist für Sie auch steuerlich ein ruhiger Hafen. Man sagt, dass Sie bei Bertarelli insgesamt 15 Millionen Franken verdient haben.
Wie viel?! Ob das stimmt oder nicht, darüber äussere ich mich nicht. Ich spreche nicht über meine Honorare. Auf jeden Fall haben wir genügend Geld für ein angenehmes Leben. Aber wir machen keine Extravaganzen. Das Leben in der Schweiz ist allerdings nicht ganz billig.

Ohne Alinghi hätten Sie Ihren Wohnsitz nicht in die Schweiz verlegt?
Mit Sicherheit nicht. Für mich ist es allerdings nicht so bedeutend, wo ich lebe, weil ich viel weg bin. Aber ohne nichts kommt nichts. Ich möchte noch viel im Leben erreichen.

Sie haben schon viel erreicht. Allein den America’s Cup haben Sie schon dreimal gewonnen, zweimal mit Team Neuseeland und einmal mit Alinghi.
Es gibt nicht nur den America’s Cup. Es gibt noch viele andere Dinge. Ich bin beispielsweise an einer Bootsdesignfirma in Dubai beteiligt. Das gibt viel Arbeit, ist aber spannend und eine grosse Herausforderung. Ich segle zudem an vielen Wettkämpfen mit.

Sie gelten als der weltbeste Skipper. Was macht einen guten Skipper aus?
Ganz entscheidend ist sicher die Bootsqualität. Aber ebenso wichtig ist das Team. Die einzelnen Mitglieder müssen gut zusammenpassen. Als Skipper bin ich der Teamleader, und da bin ich vor allem aufs Team angewiesen.

Sind Sie als Leader geboren, oder haben Sie sich die Qualitäten angeeignet?
Ich glaube, es gelang mir immer, gute Leute zu verpflichten und diese zu einem guten Team zusammenzuschweissen.

Es gibt einige sportliche Führungskräfte wie den Eishockeytrainer Ralph Krueger, die vor Wirtschaftsunternehmen über ihre Führungsphilosophien dozieren. Sie auch?
(Lacht) Ich halte vielleicht auch mal einen Vortrag. Aber ich betrachte mich dann mehr als Unterhalter denn als Erzieher! Ich halte nicht so viel davon, als Sportler Managementbücher zu schreiben.

Haben Sie je Leadership-Kurse besucht?
Nein. Aber ich trage mich mit dem Gedanken, einen Executive-Master- of-Business-Kurs zu machen. Mehr aus Neugierde, als um wirklich sehr viel zu lernen.

Sie gelten auch menschlich als kompetenter Segler. Hatten Sie während des America’s Cup überhaupt Gelegenheit, sich mit Ihrem
Team auszutauschen?
Natürlich. Kommunikation ist die Schlüsselfunktion. Während des Rennens selber ist diese zwar erschwert, es kreisen ständig Helikopter über Ihnen, die Ablenkung und der Lärm sind gross. Aber die Kommunikation ist im Vorfeld und während ruhigerer Phasen sehr wichtig.

Sie können sich nie ausklinken, können das Boot nie verlassen. Was, wenn Ihnen jemand auf die Nerven geht?
Während des Rennens müssen Sie sich darauf konzentrieren und können sich nicht gross mit Emotionen beschäftigen. Aber zuvor oder danach gibt es natürlich schon Regungen.

Wie äussern sich diese bei Ihnen?
Ich kann mich schon aufregen. Oft bin ich vor allem auf mich selber wütend, das merkt man mir aber nicht so an. Wenn ich mich über jemand anderen aufrege, dann sage ich ihm das auch.

Welches sind die grössten Fehler, die man beim Segeln begehen kann?
Wesentlich beim Segeln ist, wie man mit Persönlichkeiten und mit den verschiedenen Situationen umgeht. Viele Leute lassen sich von der Vergangenheit leiten, was ein schrecklicher Fehler ist. Natürlich muss man in einer rückblickenden Analyse die Fehler diskutieren. Aber sich diese fortwährend vor Augen zu halten, ist das Dümmste, was man tun kann.

Der America’s Cup ist eine elitäre Angelegenheit. Ausscheidungsregatten beispielsweise werden unter anderem von der Luxusmarke Louis Vuitton gesponsert. Stört Sie das nicht?
Es gehört dazu. Entweder Sie machen es mit, oder Sie lassen das Segeln bleiben.

Der Hauptsponsor von Alinghi, die UBS, erwartete von Ihnen auch Auftritte an Cocktailpartys.
Wenn Sie das nicht tun, dann ist der America’s Cup nicht das Richtige für Sie. Ob Sie es lieben oder nicht, spielt keine Rolle. Abgesehen davon sind solche Kundenkontakte manchmal ganz interessant. Vor allem wollen die geladenen Gäste viel von Ihnen wissen und nicht umgekehrt.

Wie hoch ist das Budget für ein am America’s Cup teilnehmendes Team?
Da gibt es Unterschiede. Das Budget des neuseeländischen Teams ist ungefähr halb so gross wie das von Alinghi, nämlich rund 90 Millionen Franken. Alinghi hatte beim letzten America’s Cup ein Budget von rund 150 Millionen, jetzt ist es sicher ein Drittel höher. Aber das italienische Team und BMW Oracle Racing werfen mehr auf.

Können Ihre Landsleute gewinnen, obwohl das Kiwi-Team nur die Hälfte des Budgets zur Verfügung hat?
Aus der Vergangenheit kann man viel lernen. Und die Vergangenheit zeigt, dass auch Teams mit einem viel bescheideneren Budget als andere gewonnen haben. 1995, als wir in San Diego den America’s Cup mit Team New Zealand gewannen, hatten wir ein Budget von 27 Millionen neuseeländischen Dollar, lediglich das fünftgrösste Budget aller Konkurrenten.

Wofür wird denn am meisten Geld ausgegeben?
Ganz sicher fürs Personal. Das ist die grösste Ausgabe. Vergessen Sie nicht, Sie bezahlen das Team über mehrere Jahre.

Wo segeln Sie heute primär?
Dieses Jahr segeln wir eine Regattaserie an acht verschiedenen Orten auf der ganzen Welt mit der RC 44. An der Entwicklung dieser neuen Bootsklasse war ich massgeblich beteiligt. Zudem segle ich einige Regatten in Neuseeland und nehme weiter an kleineren Anlässen teil, so auch in der Schweiz auf dem Thunersee. Eigentlich ist das schon zu viel. Ich würde gerne weniger machen, nicht zuletzt wegen meiner Familie. Wir wollen ja noch Zeit für Ferien haben.

Wo verbringen Sie diese mit Vorliebe?
Letztes Jahr verbrachten wir unsere Ferien in einem Chalet in Villars. Wir hatten grandiose Schneeverhältnisse, und Skifahren ist ein super Familiensport. Wir haben drei kleine Kinder. Und eine meiner stärksten Erinnerungen an meine Kindheit sind fantastische Ferien. Das will ich meinen Kindern auch bieten.

Segelferien verbringen Sie nicht?
Doch, aber das ist etwas kompliziert. Ebenfalls letztes Jahr waren wir auf einem Turn in der Türkei. Meine Frau schleppte neun Koffer ins Flugzeug und dann aufs Schiff. Unser jüngster Sohn ist einjährig und hat gerade begonnen zu gehen. Da ist das Segeln natürlich auch eine Frage der Sicherheit.

Aber Sie wagen es.
Ja. Wir haben auch das Nanny dabei, und wir stellen sicher, dass die Kinder die Sicherheitsweste tragen. Sie hatten grossen Spass.

Sind Sie schon mal um die Welt gesegelt?
Nein. Vielleicht tue ich das eines Tages. Aber mit einer jungen Familie macht man das nicht einfach so.

Wenn die Artenvielfalt der Meere weiterhin so stark dezimiert wird wie bisher, könnte die Fischerei bereits Mitte des Jahrhunderts
zusammenbrechen, las man kürzlich in «Science». Teilen Sie diese Meinung?

Ich bin kein Umweltexperte, aber ich beobachte, was auf dem Meer so abgeht. Es ist zwar viel besser geworden, aber nach wie vor ist es eine Schweinerei, was die Leute alles ins Wasser werfen. Für mich ist das völlig unverständlich. Sie gehen an wunderschöne Plätze, um sie zu verschmutzen.

Könnten Sie sich vorstellen, als Werbeträger für Greenpeace zu wirken?
Das habe ich mir jetzt wirklich noch nie überlegt. Aber Sie können sicher sein, dass ich die Leute, die das Wasser verschmutzen, direkt anspreche. Und zwar sehr deutlich.

Schreibt man, wenn man so oft auf See ist wie Sie, auch ein Testament?
Natürlich. Das ist doch selbstverständlich, wenn man eine Familie hat.

Werden Sie mit Ihrer Familie in der Schweiz bleiben?
Das Problem sind die Grosseltern unserer Kinder. Sie leben alle in Neuseeland, und das ist sehr weit weg, auf der anderen Seite der Weltkugel. Meine Frau befürchtet, dass der gute Kontakt zwischen ihr, den Kindern und den Grosseltern leidet, wenn wir hier bleiben. Also gehen wir vielleicht
vorübergehend zurück nach Neuseeland. Aber die Schulsysteme sind sehr unterschiedlich. Es stehen uns also schwierige Entscheidungen bevor.

Der Neuseeländer Russell Coutts hat den America’s Cup dreimal als Skipper gewonnen, letztes Mal mit dem Team Alinghi des Schweizers Ernesto Bertarelli. Die beiden haben sich nach dem Sieg getrennt. Am diesjährigen America’s Cup im spanischen Valencia ist Coutts nicht dabei. Der als weltweit bester Segler geltende Coutts bestreitet diverse Wettkämpfe; 2006 wurde er Weltmeister mit dem Regattenboot Farr 40. Der knapp 45-Jährige lebt mit seiner Frau und drei Kindern in der Romandie.