«Seien wir ehrlich: Alle Politiker haben ein gestörtes Verhältnis zu ihrem Ego»

FDP-Politiker Marc F. Suter über seine unerwartete Rückkehr in den Nationalrat, sein «Ja, aber» zur IV-Revision und Milliarden, die irgendwelchen Scheichs im Nahen Osten geschickt werden

SONNTAGSGESPRÄCH – 25. Februar 2007 – SonntagsZeitung, Seiten 23-25
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VON ESTHER GIRSBERGER, DENIS VON BURG (TEXT) UND SEVERIN NOWACKI (FOTOS)

Screenshot SG Suter

Herr Suter, Sie haben nach Ihrer Nichtwiederwahl im Jahr 2003 laut verkündet, Sie hätten mit der Politik abgeschlossen. Jetzt rücken Sie doch in den Nationalrat nach.
Es ist unbestritten, dass ich bei der Nichtwiederwahl eigentlich einen Schlusspunkt unter mein Politikerleben gesetzt und mich verabschiedet hatte. Aber auch wenn es etwas pathetisch tönt: Ich glaube, meine Rückkehr ist eine demokratische Pflicht, nachdem ich auf den ersten Ersatzplatz gewählt worden bin. Zudem habe ich neue Kräfte gesammelt, fühle mich fit. Und dieses Virus der Politik habe ich nun mal in mir drin.

Wie haben Sie die letzten vier quasi politikfreien Jahre denn ausgehalten?
Sehr gut. Ich habe neue Projekte in Angriff genommen, nicht nur im Büro.

Das heisst, auch privat?
Ja. Ich habe mit ein paar Kollegen ein Minergie-Haus gebaut. Meine familiäre Situation hat sich mit einer neuen, schönen Partnerschaft verändert. Mit meiner Partnerin und deren zwei Mädchen ist neues Leben bei mir eingezogen. Aber gerade wenn man etwas Distanz zur Politik gewinnt, merkt man, dass man vielleicht doch noch eine Funktion zu erfüllen hat.

Sie sind also unentbehrlich?
Natürlich nicht. Aber ich glaube, ich kann nach wie vor etwas zur Politik beisteuern. Indem ich beispielsweise mithelfe, den vor knapp vier Jahren verlorenen FDP-Sitz im Kanton Bern zurückzugewinnen.

Wie lange haben Sie sich auf Ihre Rückkehr vorbereitet?
Bis nach dem traurigen Tod von Kurt Wasserfallen im Dezember 2006 nicht im Geringsten.

Dass Sie im Herbst 2006 einen Fürsprecher ins Büro aufgenommen haben, der Sie durch seinen Bezug zur Politik auch im Wahlkampf unterstützt, ist doch nicht reiner Zufall?
Doch. Es ist ein Glücksfall, eine gute Fügung, so wie mir auch andere Mitarbeitende ermöglichen, dass ich es trotz meiner selbstständigen Tätigkeit als Anwalt verkraften kann, wieder ein politisches Amt auszuüben, und das schon fast von heute auf morgen.

Ist nicht auch eine gesunde Portion Geltungsbewusstsein mitschuldig an Ihrer Rückkehr?
Das Rampenlicht war wahrlich kein Kriterium für meinen Entscheid, davon hatte ich schon genug. Aber seien wir ehrlich: Alle Politiker haben ein gestörtes Verhältnis zu ihrem Ego und zu ihrer Eitelkeit.

Umso mehr muss Sie Ihre Nichtwiederwahl im Jahr 2003 getroffen haben. Wie haben Sie die unmittelbare Zeit danach erlebt?
Am dritten Tag nach meiner Nichtwiederwahl habe ich nach langer Zeit zum ersten Mal wieder in einem sehr guten Restaurant gegessen. Da sagte ich mir: «Jetzt packe ich es.»

Was sagt Ihre Familie zum Comeback, nachdem Sie vor vier Jahren betont haben, Sie wollten sich jetzt stärker um sie kümmern?
Ich kann auf ihre volle Unterstützung zählen. Aber ich habe mir auch geschworen, dass ich mich in der mir verbleibenden Freizeit aufs Dasein in der Familie konzentrieren und nicht nur von ferne grüssen will.

Haben Sie FDP-Parteipräsident Fulvio Pelli im Hinblick auf Ihr Comeback schon von ferne gegrüsst?
Auch er hat mich, wie die Bieler FDP und viele aus der Berner Partei, ermuntert, die Herausforderung eines erneuten Nationalratsmandats anzunehmen. «Nimms locker und gelassen», sagte mir Pelli. Schlussendlich wird der Wähler entscheiden, ob er mich im Herbst als Nationalrat bestätigen will.

Wie stehen die Chancen?
Das fragen Sie besser mein Wahlkampfteam.

Sie haben für Ihre Nichtwiederwahl im Jahre 2003 Ihren sozialliberalen Kurs verantwortlich gemacht. Diesbezüglich haben Sie sich nicht geändert, was neuen FDP-Fraktionsmitgliedern wie Filippo Leutenegger sicher nicht gefällt.
Leutenegger ist ein leutseliger Typ, das ist schon mal gut. Natürlich liege ich nicht überall auf der gleichen Linie wie er. Aber in Finanz- und Wirtschaftsfragen liege ich stramm auf wirtschaftsfreisinnigem Kurs. Gesellschaftspolitisch und in Umweltfragen sieht es etwas anders aus.

Was, wenn es um ein Thema geht, das nach diesen Kriterien nicht klar zuzuordnen ist? Beispielsweise bei der Pauschalbesteuerung oder generell bei Steuerfragen.
Unter Wirtschaft subsumiere ich vor allem Wettbewerb, Konkurrenz und offene Märkte. Als exportorientiertes Land sind wir enorm darauf angewiesen. Deshalb bin ich auch für die Zulassung von Parallelimporten.

In diesem Fall müssten Sie auch dezidiert für eine Holdingund Pauschalbesteuerung einstehen.
Ich bin für alles, was den Wirtschaftsstandort Schweiz stärkt. Wir brauchen ein Steuersystem, das die Entwicklung von Unternehmen, gerade auch von KMU, begünstigt. Der Steuerwettbewerb spielt dabei als wichtige Rahmenbedingung eine grosse Rolle.

Was sagt denn der EU-Turbo Marc F. Suter dazu, dass die EU die Schweiz in Sachen Holdingbesteuerung unter Druck setzt?
Wir brauchen keine Steuervögte, ob sie jetzt von Brüssel oder von irgendwoher kommen.

Bundesrat Blocher wird sich ob dieser Antwort freuen.
Die Haltung des Gesamtbundesrats ist in dieser Frage richtig. Jeder europäische Staat ist in Steuerfragen souverän. Die Geschichte wird zeigen, ob wir uns besser als Nichtmitglied oder als Vollmitglied gegen die Einschränkungen der Steuerhoheit der einzelnen Staaten wehren können.

Was ist Ihre Meinung?
Ich bin nach wie vor für eine EUMitgliedschaft. Aber der EU-Beitritt ist momentan vom Tisch.

Eine sehr opportunistische Haltung.
Die Geschichte kann sich schnell ändern, wie wir wissen. Aber in der Schweiz ist demokratisch entschieden worden, dass wir den bilateralen Weg gehen. Der ist zwar beschwerlich, aber ich bin froh, dass wenigstens diese bilaterale Annäherung gelungen ist.

Hat Ihr Pragmatismus in der EU-Frage mit Altersmilde oder schon mit Wahlkampf zu tun?
Weder noch. Er ist vor allem auf Respekt vor den europapolitischen Entscheidungen, die in den letzten Jahren getroffen worden sind, zurückzuführen. Was meine Überzeugung nicht schmälert, dass wir besser mitspielen würden, als ausserhalb des Fussballfeldes zu stehen. Nur wird diese integrationspolitische Frage wohl die nächste Generation entscheiden müssen.

Sind Sie in der Ausländerintegration ähnlich liberal?
Im Grundsatz ja. Aber Integration bedeutet nicht Larifari mit Leuten, die sich nicht an die Spielregeln halten. Mich regt jeder Missbrauch auf. Es ärgert mich beispielsweise, wenn Männer meinen, sie könnten ihre Töchter von der Kultur fern halten, in der sie leben.

Sie sind also für ein Kopftuchverbot.
Tief verschleierte Frauen und Mädchen, die den Schwimmunterricht nicht besuchen dürfen, das geht nicht in einer Demokratie mit einer verfassungsmässigen Ordnung, die auf einer Wertegemeinschaft basiert. Da müssen wir viel offensiver sein, auch seitens der eigenen Partei.

Wie offensiv soll die FDP bei der Abgrenzung zur SVP sein?
Wir müssen eigenständig sein. Deshalb ist es auch richtig, dass die Berner FDP ohne die SVP in den Ständeratswahlkampf zieht. Wir müssen uns als bürgerliche, mittelständige, vernünftige Kraft positionieren.

Im Kanton Zürich sieht es anders aus. Dort fährt die FDP einen Rechtskurs, nicht zuletzt mit Präsidentin Doris Fiala, die für den Nationalrat kandidiert.
Doris Fiala muss ich erst mal kennen lernen.

Sie kennen Sie doch sehr gut, schliesslich hat sie Guido Zäch PR-mässig beraten.
Ich kenne sie nicht. In der Demokratie sollte man miteinander reden, nicht übereinander.

Soll die FDP Bundesrat Christoph Blocher bei der Bestätigungswahl im Dezember wieder wählen?
Christoph Blocher ist ein führungsstarker Departementsvorsteher, aber er hält es mit der Wahrheit nicht immer so genau. Das ist bedenklich für einen Bundesrat. Aber was mich mindestens ebenso nachdenklich stimmt, ist die Tatsache, dass er eigentlich noch heute Parteiführer ist und nicht Bundesrat für alle. Nur kennen wir in der Schweiz das Konkordanzsystem, und da ist es richtig, dass die Zusammensetzung des Bundesrats die parteipolitischen Kräfteverhältnisse wiedergibt.

Wählen Sie Christoph Blocher wieder in den Bundesrat, wenn die SVP bei den Wahlen im Herbst stärkste Partei bleibt?
Wie gesagt, ich halte das Konkordanzsystem hoch. Ob ich persönlich der Meinung bin, dass Blocher unserem Land gut tut, lasse ich offen.

Sie sprechen oft von Wahrheit, von Rechtsstaat. Hat das mit der legalistischen Sicht eines Anwalts zu tun oder mit dem Gerechtigkeitssinn eines Behinderten?
«Freiheit, Gleichheit, Gerechtigkeit », das sind die eigentlichen Wurzeln unseres Bundesstaats. Recht als Scharnier und als Grundlage fürs Vertrauen, das wir in unseren Staat haben, das darf man unter keinen Umständen in Frage stellen.

Sie persönlich haben das Recht in Frage gestellt, als Sie die Busse angefochten haben, die Sie wegen Fahrens in angetrunkenem Zustand hätten bezahlen müssen.
Ich habe nicht die Busse an sich angefochten, sondern nur deren Höhe, die sich an den Steuerdaten bemisst und die mir nicht korrekt schien. Die Verurteilung war berechtigt. Ich stehe dazu und hoffe, dass der einmalige Vorfall auch der letzte bleibt. Ich will nichts entschuldigen.

Die Verurteilung war mitentscheidend für Ihre Nichtwiederwahl.
Vielleicht, ich wurde jedenfalls öffentlich an den Pranger gestellt. Das war, weil ich ja Politiker war, auch richtig. Da hat man sich nicht zu beklagen.

Hätten Sie die Busse nicht angefochten, wäre Ihr Vergehen nicht bekannt geworden. Sind Sie ein Gerechtigkeitsfanatiker, der lieber weiteren Schaden in Kauf nimmt, als klein beizugeben?
Man kann nicht alles steuern im Leben. Bestimmte Dinge tut man, weil man sie für richtig hält. Ich handle nach meinen Überzeugungen und bin kein Fähnchen im Wind. Vielleicht bin ich gerade deshalb Politiker geworden.

Auch der Fall Guido Zäch vom Paraplegikerzentrum Nottwil wirft Fragen zu Ihrem Gerechtigkeitssinn auf. Warum haben Sie ihn angezeigt, anstatt es bei der internen Beanstandung zu belassen?
Über diese Geschichte müsste man ein Buch schreiben. Eines, das nicht von Herrn Zäch gekauft ist, sondern eines, das objektiv die Geschehnisse um ihn und die Paraplegikerstiftung aufarbeitet. Ich habe alles unternommen, um intern eine Regelung zu finden. Dazu braucht es aber immer zwei. Die Verurteilungen in erster und zweiter Instanz wegen wirtschaftskrimineller Verfehlungen haben mir Recht gegeben, dass Herr Zäch schlimm über die Schnur gehauen hat.

Mit Machtkampf hatte Ihr Verhalten rein gar nichts zu tun?
Nein, ich habe, weiss Gott, dafür bezahlt. Ich lasse mir nicht vorhalten, aus eigennützigen Interessen gehandelt zu haben. Ich bin als Vizepräsident der Paraplegikerstiftung zurückgetreten, bevor ich Anzeige erstattet habe. Und es war mir klar – dafür kannte ich Guido Zäch und seine diktatorische Art, die Paraplegikergemeinde zu führen, gut genug –, dass es dort für mich keinen Platz mehr geben würde. Ich habe durch diese Sache meine Stellung als bezahlter Rechtskonsulent in einem Fachgebiet eingebüsst.

Mit den Angriffen auf den beinah heiligen Paraplegikerarzt Guido Zäch konnten Sie in der Öffentlichkeit nur verlieren.
Man kann nicht immer alles planen, und man kann nicht immer taktieren. Ich bin kein Karrierist, der alles auf seine Wirkung für die eigene Laufbahn hin abschätzt. Dass Zäch dann mit Spendengeldern eine breite Verunglimpfungskampagne gegen mich lanciert hat, ist ein weiterer Tiefschlag von seiner Seite gewesen. Ich will am Morgen aufstehen, ohne ein schlechtes Gewissen zu haben. «Je ne regrette rien.» Da kommt mir in den Sinn, dass ich jetzt unbedingt den neuen Edith-Piaf-Film sehen muss.

Was fasziniert Sie an Edith Piaf?
«La mõme», sie war die Seele der schönsten Stadt der Welt, Paris. Liebe, Leidenschaft, Glanz und Elend, Erfolg und Tragik, alles war bei ihr eng beieinander. Ihre Chansons treffen mich noch heute mitten ins Herz.

Als Linksliberaler wollen Sie zurück in eine FDP-Fraktion, die deutlich rechts von der Mitte politisiert. Sie erheben Strafanzeige gegen einen Halbgott in Weiss und bringen eine Verurteilung an die Öffentlichkeit, für die Ihnen Protest sicher ist. Sind Sie ein Masochist?
Ich sehe mich eher als Kämpfer und politisiere auf dem offenen, liberalen Flügel der Partei, so, wie Präsident Pelli. Aber ich habe auch gelernt. Weil ich mich jetzt auf wenige Themen, bei denen ich ein persönliches Credo habe, beschränken will, gelingt es mir vielleicht, gewisse Anliegen ohne Kollateralschäden voranzubringen (schmunzelt).

Welche Kollateralschäden haben Sie denn in der FDP-Fraktion hinterlassen?
Diese Frage ist falsch gestellt. Ich habe mich in meiner Fraktion und meiner Partei immer getragen gefühlt.

Wo werden Sie Ihre politischen Schwerpunkte setzen?
Sicher in der Energiepolitik. Ohne Scham kann oder muss ich heute sagen, dass ich mit meiner auf Energiesparen und Förderung alternativer Energien ausgerichteten Politik schon Mitte der Neunzigerjahre Recht hatte.

Aber bewirkt hat es wenig.
Das stimmt. Bundesrat und Energiewirtschaft sprechen heute von einer kommenden Energielücke, dabei geht es um eine Informationslücke. Es liegt ein riesiges Einsparpotenzial bei Häusern und Gebäuden, die rund die Hälfte unserer Energie auffressen. Man kann heute in unseren Breitengraden technisch nicht nur Nullenergiehäuser bauen, sondern solche, die einen Energieüberschuss produzieren.

In allen Szenarien, die der Bundesrat diskutiert, braucht es mindestens ein neues AKW und zusätzliche Gaskraftwerke.
Packen wir doch mal das an, was ohne neue Kraftwerke möglich ist, und setzen wir bei der Gebäude- Energieeffizienz an. Das hilft auch den Baugewerblern meines Parteifreundes und Gewerbeverbandsdirektors Pierre Triponez. Seine Unternehmer könnten Milliarden im eigenen Land verdienen. Stattdessen schicken wir diese irgendwelchen Scheichs im Nahen Osten.

Nochmals: Braucht es ein neues AKW?
Das kann man heute nicht mit Bestimmtheit sagen. Es ist nicht Aufgabe der Politik, ein AKW zu planen. Deren Aufgabe ist es vielmehr, über die Möglichkeiten bei der Energieeffizienz und über erneuerbare Energien zu informieren und damit zu verhindern, dass wir plötzlich keine andere Alternative zum Bau neuer Kraftwerke mehr haben. Da steht auch meine freisinnige Partei in der Pflicht. Wir sollten uns daran erinnern, dass dies alte freisinnige Anliegen waren. Die sollten wir wiederbeleben, anstatt sie teilweise lächerlich zu machen und damit allein die Interessen der Kernenergiewirtschaft zu vertreten.

Wir sind erstaunt, dass Sie die Energiepolitik und nicht die Behindertenpolitik als Ihr Kernanliegen bezeichnen.
Das eine schliesst das andere nicht aus. Als Behinderter vertrete ich zehn Prozent unserer Bevölkerung, die wenig sichtbar ist. Deren Anliegen zu vertreten, verdient mein politisches Comeback.

Es gibt mittlerweile noch einen anderen behinderten Nationalrat.
Das ist gut so. Aber ich stelle immer wieder fest, dass ein Rollstuhl andere Reaktionen auslöst als andere Behinderungen. Wobei eine Behinderung unabhängig von der Sichtbarkeit eine Behinderung ist. Ich bin ja eigentlich ein Scheininvalider, indem ich den Anschein erwecke, als würde ich eine Invalidenrente beziehen (lacht).

Mit wie viel Herzblut werden Sie sich als Behinderter gegen das IV-Referendum einsetzen?
Ich gehöre tatsächlich zu jenen Behinderten, die zur IV-Revision «Ja, aber» sagen. Ich glaube, dass die IV-Revision gute Seiten hat, zum Beispiel die Missbrauchsbekämpfung und die ersten Anreize für die Integration der behinderten Erwerbsfähigen. Es gibt aber auch berechtigte Zweifel, dass die Revision nicht genügt. Es braucht ein umfassenderes Arbeitsgesetz. Ich sage das als einer, der zwar behindert ist, aber keine Rente erhält. Ich unterstütze die Revision im Vertrauen darauf, dass weitere Integrationsmassnahmen folgen und vor allem auch die politisch versprochene Zusatzfinanzierung, welche die IV zur Sanierung braucht, beschlossen wird.

Hadern Sie manchmal mit Ihrem Schicksal, nach einem Unfall im Rollstuhl zu sitzen?
Ich lebe damit und denke im Alltag nicht daran. Ich habe jetzt ein dreirädriges Fahrrad, mit dem ich zur Arbeit fahre und bei gutem Wetter um den See. Nach dreissig Jahren habe ich mich an meinen Zustand gewöhnt. Natürlich gibt es Tage, an denen mir bewusst wird, dass ich manches nicht tun kann, dass mir bestimmte Aktivitäten verwehrt sind. Ich musste lernen, damit umzugehen. Es ist wie mit dem Meer: Meist ist es ruhig, aber manchmal kommen Wellen, die einen und damit das Leben in Frage stellen. Aber auch nicht Behinderte müssen immer wieder den Sinn des Lebens finden, das ist eine lebenslange Aufgabe.

Sind Sie nie müde, auch politisch müde?
Mein Leben hat mir bewiesen, dass sich trotz Rückschlägen vieles bewegt. Als junger Mann habe ich die Tragödie mit dem sowjetischen Einmarsch in der Tschechoslowakei miterlebt. Später dann den Fall der Mauer. Die Welt bewegt sich, und sie bewegt sich trotz allem in die richtige Richtung, zum Besseren hin.

Die Politik hat sich verändert. Politiker mit Leidenschaft und politische Persönlichkeiten sind rar geworden seit Ihrem Ausscheiden aus der nationalen Politik.

Eine gewisse Polarisierung hat sich schon vor meiner Nichtwiederwahl abgezeichnet. Man hätte sich schon lange fragen müssen, ob die Schweiz eine politische Mitte braucht, die für Kompromisslösungen offen ist. Aber das Pendel wird zurückschlagen, dessen bin ich mir sicher. In der Schweiz setzt man sich schlussendlich gemeinsam an einen Tisch und sucht nach konkreten und breit abgestützten Sachlösungen.

Seit einem Unfall in seiner Jugend sitzt der 54-jährige Fürsprecher und Notar Marc F. Suter im Rollstuhl. 1991 bis 2003 vertrat er den linksliberalen FDP-Flügel im Nationalrat. Abgewählt wurde er wegen seiner politischen Haltung, weil er gegen den Paraplegiker-Arzt Guido Zäch juristisch vorging und weil er alkoholisiert am Steuer erwischt wurde. Jetzt kehrt Suter als Ersatz für den verstorbenen Kurt Wasserfallen in den Rat zurück. Suter ist geschieden. Er lebt mit seiner neuen Partnerin in Biel.

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